Rezensionen von Elmar Spohn

 




Matthias Plaga-Verse, Neupietismus im Nationalsozialismus. Eine Quellenstudie zu neupietistischen Printmedien am Beispiel von „Der Evangelist aus dem Siegerland“, Luther-Verlag: Bielefeld, 2020, 611 S., ISBN: 978-3-7858-0780-4, € 29,90

Auch 77 Jahre nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Vergangenheitsaufarbeitung im kirchlichen Bereich nicht abgeschlossen. Es gibt immer noch große Forschungslücken, insbesondere im Umfeld des sog. Neupietismus. Die vorliegende Arbeit von Matthias Plaga-Verse versucht diese Lücke mit seiner im Sommersemester 2017 von der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen im Fach Evangelische Theologie angenommenen Dissertation ein wenig zu schließen. Dabei untersucht er als Primärquelle das Hauptpublikationsorgan der Siegerländer Gemeinschaftschristen und fragt, wie man sich in der neupietistischen Frömmigkeitstradition des Siegerlandes in den Umbrüchen nach dem Ersten Weltkrieg in der Weimarer Republik und vor allem in der NS-Zeit zur „Welt“ und zum Staat (Obrigkeit) verhielt. Es sei vorweggenommen, dass die Ergebnisse erschütternd ausfallen.

Die von Plaga-Verse untersuchte christliche Zeitschrift Der Evangelist aus dem Siegerland hatte während der NS-Zeit eine wöchentliche Leserschaft von ca. 24.000 Personen. Sie wurde vor allem von den Siegerländer Gemeinschaftschristen und von Menschen gelesen, die zum Gnadauer Verband bzw. zur Gemeinschaftsbewegung gehörten und somit der Frömmigkeit dieser innerkirchlichen protestantischen Erneuerungsbewegung nahestanden. Aufgrund eines persönlichen Erweckungs- oder Bekehrungserlebnisses zählten sie sich zu den berufenen „Kindern Gottes“ und sahen sich als Bewahrer biblischer Wahrheit. Vor dem Hintergrund der starken bibelorientierten Frömmigkeit dieser innerkirchlichen Bewegung ist Plaga-Verses Fragestellung hinsichtlich ihrer politischen Positionierungen von großem Interesse, da man dort nach 1945 davon ausging, stets apolitisch gewesen zu sein. Die Textanalysen der untersuchten Zeitschrift machen dann etwas anderes deutlich. Dabei zieht sich der Ausspruch von Matthias Claudius „Gehorche der Obrigkeit und laß andere über sie streiten“ als roter Faden durch die Artikel der untersuchten Publikation, was Plaga-Verse als kritiklose Übereignung des Einzelnen an den Staat und damit als eindeutige politische Positionierung deutet.

Als Gemeinschaftschristen stand man in der Tradition der „Stillen im Lande“ und wollte sich aus allem „Weltlichen“ heraushalten. Es ging ihnen – so die Selbstpositionierung – um die eigene geistliche Erbauung und um Reichgottesarbeit. Ungeachtet dieses apolitischen Anspruches zeigte man sich in den Umbruchsjahren 1918/19 dezidiert deutschnational und antiparlamentarisch. Statt die Weimarer Republik zu unterstützen, äußerte man ihr gegenüber großes Unbehagen. Generell beklagte man die zunehmende gesellschaftliche und moralische Degeneration. Man betrauerte die alte Kaiserzeit und sehnte sich nach einem von Gott legitimierten Regenten. Die zunehmende Popularität des Kommunismus, Individualismus und des sog. Freidenkertums empfand man als existentielle Bedrohung. Schließlich mündete diese Haltung in die explizite Parteinahme für die Politik der NS-Regierung, da man dieser gesellschaftsstabilisierende Wirkung zuschrieb. Zwar kritisierte man die verschiedenen deutschgläubigen Organisationen und neuheidnischen Gruppen sowie die „Blut- und Boden“-Theologie der Deutschen Christen, die Arisierung Jesu Christi und der Bibel, sprach sich gegen die Abschaffung des Alten Testaments und gegen die Einführung des Führerprinzips in Kirche und Gemeinschaftsverbänden aus, stimmte aber grundsätzlich Hitler und dessen Politik zu. Man widersprach dem nationalsozialistischen Ansinnen, die Kirchen zu vereinnahmen, ohne dabei Hitler als gottgegebener Führer des deutschen Volkes in Frage zu stellen. Statt den antichristlichen Charakter des Nationalsozialismus offenzulegen, zeigte man sich von dem „großen Reichskanzler und Volksführer“ beeindruckt, da er weder trinke noch rauche und so der „zuchtvolle[n] Jugend“ als „edle[s] Beispiel“ diene. Man monierte den Massencharakter der NS-Bewegung, war aber andererseits von Hitlers pseudoreligiösen Reden fasziniert. Man nannte Hass auf Juden unevangelisch, war aber an der realen Verfolgungssituation der Juden uninteressiert und warnte vor dem schädlichen Einfluss des liberalen Judentums. Man beschwor den inneren „geistlichen Frieden“ des Herzens, ohne Hitlers aggressive Expansions- und Kriegspolitik zu hinterfragen. Vielmehr unterstützte man die kriegerische Aggression gegen Polen und rühmte die anfänglichen militärischen Erfolge. Aus diesem von Plaga-Verse nachgezeichnetem Geschichtsbild ergibt sich das Muster, zunächst einen kleinen Teilbereich zu kritisieren, um dann dem großen Ganzen des Nationalsozialismus und dessen ideologischen Positionen mehr oder weniger zuzustimmen.

Es ist das Verdienst von Plaga-Verse, die Eigenwahrnehmung der Siegerländer Gemeinschaftsleute als fromme unpolitische und deswegen bewährte Christen mit den historischen Fakten hinterfragt und deren Einknicken vor der nationalsozialistischen Ideologie aufgezeigt zu haben. Kritisch anzumerken ist allerdings das verwirrende Wording in den Kapitelüberschriften. So ist in Kapitel drei vom „Verein für Reisepredigt“ und in Kapitel vier von „Stellungnahmen im Evangelisten“ die Rede, wobei die Zeitschrift „Der Evangelist aus dem Siegerland“ in beiden Kapiteln der eigentliche Untersuchungsgegenstand ist. Hierbei wird eine methodische Inkonsequenz sichtbar, da gelegentlich auf Archivalien und andere Publikationen der Gemeinschaftsbewegung zurückgegriffen wird, ohne aufzuzeigen mit welchen Kriterien dies geschieht und was damit bezweckt werden soll. Eventuell werden auf diese Weise einzelne politische Positionen, die so nicht in der untersuchten Zeitschrift zu finden waren in den Fokus gerückt. Zudem wirken die detaillierten Textanalysen etwas langatmig und es fehlt an einer Einordnung der dort schreibenden Autoren und Autorinnen (wobei Letztere die Ausnahme waren) wie beispielsweise Adolf Köberle, Wilhelm Busch, Gustav Friedrich Nagel, Wilhelm Nitsch und andere anhand der vorliegenden von Plaga-Verse nicht konsultierten biographischen Sekundärliteratur.

Vor dem Hintergrund der defizitären Forschungslage und der vielen noch nicht untersuchten neupietistischen Zeitschriften wie Licht und Leben, Heilig dem Herrn, Auf der Warte, Der Reichsbote und Gnadauer Gemeinschaftsblatt, ist zu wünschen, dass Plaga-Verses Arbeit das historische Interesse an dieser protestantischen Erneuerungsbewegung weckt und weitere Forschungen anregt. 

In: KZG/CCH, 35 Jg., (2022), 192-195

Martin Baer und Olaf Schröter, Eine Kopfjagd: Deutsche in Ostafrika. Spuren kolonialer Herrschaft. Berlin: Ch. Links Verlag, 2001 S. 220.

Dieses Buch ist kein Missionsbuch im engeren Sinn, jedoch ist es für den Missionar bzw. Missionsinteressierten insofern interessant, weil es in gekonnter, ja geradezu in spannender Weise in die Kolonialgeschichte einführt. Eingerahmt in die dramatische Geschichte einer Kopfjagt in Deutsch-Ostafrika, werden in einzelnen in sich abgeschlossenen Kapiteln am Beispiel der Kolonie „Deutsch-Ostafika“ folgende Themen erörtert: Motive und Geschichte des Kolonialismus, Aufstände der einheimischen Bevölkerung, Mission und Kolonialismus, Kolonialpolitik, und die Rezeption des Kolonialgedankens in der Weimarer Republik im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Wer zu solchen Themen eigentlich keinen Zugang findet, bekommt ihn in diesem hervorragend illustrierten und mit vielen zeitgenössischen Abbildungen versehenen und gut aus Quell- und Sekundarliteratur geschöpften Buch. Von besonderem Interesse dürften die Kapitel über die deutsche Schuld sein. Denn dort wird der Mythos von den Deutschen als harten aber gerechten Kolonialherren erschüttert. Schonungslos werden die Verbrechen der Deutschen in Deutsch-Ostafrika geschildert: Zahllose Stockhiebe, ungerechte Exekutionen, brutale Unterdrückung und Ausbeute menschlicher und materieller Ressourcen. Wie sich diese Demütigungen in die schwarzafrikanische Volksseele eingegraben haben und bis in dir Gegenwart unbewußt Handeln bestimmt, kann nur erahnt werden.

Obwohl die Autoren gegen besseres Wissen die stereotype Behauptung „Kolonisieren ist Missionieren, Missionieren ist Kolonisieren“ in die Überschrift des interessanten Kapitels über Mission und Kolonialismus aufnahmen, kommen sie dann in den Ausführungen überraschender Weise zu einem ausgewogenen Urteil.

Alles in allem handelt es sich bei diesem Buch um ein faires Buch, das vor allem Lust macht auf mehr, auf mehr Kolonialgeschichte. Daher sei diese Lektüre vor allem Missionaren empfohlen, die in ehemaligen Kolonialgebieten arbeiten und zur wissenschaftlichen Spezialliteratur keinen Zugang finden.

In: em 3/3 (2003), 115-116.

Jonas Licht, Zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Missionswissenschaftliche Zeitschriften in der Zeit des Nationalsozialismus. (Akzente Interkultureller Theologie), Hamburg: Missionshilfe Verlag, 2017 S. 95.

Die vorliegende Masterarbeit von Jonas Licht untersucht missionswissenschaftliche Zeitschriften mit dem Fokus auf den Nationalsozialismus. Allerdings ist sein Buchtitel nicht ganz zutreffend, da nicht die missionswissenschaftlichen Zeitschriften insgesamt, sondern nur die Neue Allgemeine Missions-Zeitschrift (NAMZ) im Blickfeld steht. Trotz dieses kleinen Forschungsfokus lohnt sich eine Rezension dieses eher kleinen Büchleins und das aus zwei wesentlichen Gründen. Zum einen ist die Zeitschrift „Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaften“ die Nachfolgezeitschrift der NAMZ und da ist es nicht uninteressant, wie man sich damals zum Nationalsozialismus verhielt. Zum anderen, und das zeigt das vorliegende Büchlein auf fast jeder Seite, ist das Verhalten der deutschen Missionsbewegung in der NS-Zeit ein dringliches Forschungsdesiderat. So werden beispielsweise wichtige Protagonisten der deutschen Missionswissenschaft tabellarisch mit kurzen Erläuterungen ihrer Aufgaben, ihrer Positionierung im Kirchenkampf und ihrer möglichen Parteimitgliedschaft aufgeführt. Doch bleibt zu fragen, ob diese kurzen Erläuterungen, die oft komplizierten und verworrenen Lebenswege der damaligen Protagonisten in ihrer Kürze der Sache überhaupt gerecht werden. Dies ist zu bezweifeln.

Im Einleitungskapitel führt Licht in Fragestellung, Methodik, Quellenlage sowie in den gegenwärtigen Forschungstand ein und stellt im Weiteren seine Arbeitshypothese dar. Dann widmet er sich dem historischen Kontext und da insbesondere der deutschen Missionsbewegung und ihrem „Sonderweg“. Dieser „Sonderweg“ war die theologische Überbetonung dessen was man mit dem Begriff „Volk“ meinte aussagen zu können. In den weiteren Kapiteln geht es dann um die missionswissenschaftlichen Zeitschriften als historische Quelle im Allgemeinen und um die NAMZ im Speziellen. Die NAMZ wird dann nach folgenden Themen befragt: 1. Die Unabhängigkeit der deutschen Missionsbewegung von politischer Vereinnahmung und Beeinflussung. 2. Die Frage nach Partizipationsmöglichkeiten in Bezug auf einen NS-Kolonialismus und 3. die Positionierung zu Antijudaismus und Judenmission. Abschließend folgt ein Ausblick über das Jahr 1945 hinaus, mit der Frage wie man in den Nachfolgezeitschriften mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist. An dieser Stelle fragt man sich, wie Licht auf die von ihm festgelegten Themenschwerpunkte gekommen ist. Natürlich muss das Thema Antijudaismus und Judenmission vorkommen. Zudem ist Licht zuzustimmen, dass man mit der Frage nach der Judenmission (damals wie heute) Goethes Gretchenfrage stellt: „Nun sag, wie hast du’s mit der Judenmission?“ Warum aber sollte die Vorbereitung auf den NS-Kolonialismus ein Thema sein, welches der besonderen Aufmerksamkeit bedarf? Lichts Ausführungen zeigen dann, dass bis auf eine kleine Aussage von Johannes Warneck dieses Thema in der NAMZ keine Erwähnung findet. Es sei - so Licht - aber trotzdem relevant gewesen, nur dass man das aus Rücksichtsnahme gegenüber der internationalen Missionswelt nicht offen in Zeitschriften publizieren wollte. Hier scheint Licht einem Argument ex silentio aufzusitzen. Überhaupt räumt Licht, der aus der Sekundarliteratur dargestellten damaligen Situation in seiner Darstellung größeren Raum ein als den eigentlichen Textanalysen. Dies verzerrt das Bild, zumal Licht für die Haltung der damaligen Protagonisten unsachliche Formulierungen wie „extreme Anbiederung“ (S. 57) oder „glühendes NSDAP-Mitglied“ (S. 36) verwendet, die von seinen Textanalysen her nicht gedeckt werden. Von diesen Anfragen abgesehen, ist die Auseinandersetzung mit Lichts Büchlein lohnenswert, da es Einblicke in die schwierige Situation der deutschen evangelischen Missionswissenschaft gewährt, die man anderswo vergebens sucht.

Während der Preis zum Erwerb diese Büchlein animiert, erschweren das kleine Schriftbild und insbesondere die Schriftgröße der Fußnoten sowie einige Format- und Druckfehler das Lesevergnügen. Eine interessierte Leserschaft sollte dies von der Lektüre aber nicht abhalten.

In: ZMiss 2-3 (2018), 272-273.

Kai Merten, Trommeln am Tana – Die indigene Religion der Pokomo in Kenia. Eine Rekonstruktion anhand von Aufzeichnungen Neukirchener Missionare. Religionswissenschaft, Forschung und Wissenschaft Bd. 13 Berlin: Lit-Verlag, 2015 S. 292.

In der vorliegenden Studie des Marburger Privatdozenten für Religionsgeschichte Kai Merten wird anhand von Aufzeichnungen Neukirchener Missionare die indigene Religion der afrikanischen Ethnie der Pokomo rekonstruiert. Bedenkt man, dass die ursprüngliche Religiosität der Pokomo einer längst vergessenen Zeit angehört, die der religionswissenschaftlichen Forschung bisher kaum zugänglich war, dann ist der Wert dieser Studie enorm. Die Rekonstruktion einer vergangenen indigenen Religion, die sich lediglich auf Quellen von Missionsberichten stützt, ist ein historisch und religionswissenschaftlich heikles Unternehmen. Es stellt sich die Frage, ob als Ergebnis nicht Vorstellungen zutage treten, die massiv von der christlichen Perspektive der Missionsberichte verzerrt sind. Doch dies ist sich Mertens natürlich bewusst. Er weiß, dass die Verfasser der Neukirchener Missionsberichte keine Religionswissenschaftler oder Ethnologen, sondern ursprünglich meist Handwerker und Bauern waren, die die indigene Religion der Pokomo mit ihren christlich-europäisch geprägten Vorstellungen beobachteten oder erfragten. Eigentlich könnte man vermuten, dass in der Weltsicht dieser Missionare die fremden religiösen Verhaltensweisen wie ekstatische Tänze, laute Trommelwirbel und archaisch anmutende Riten Vorstellungen vom finsteren Heidentum hervorgerufen hätten. Überraschenderweise war es aber nicht so. In den älteren Missionsberichten findet man wertvolles Wissen über die ursprüngliche Religion der Pokomo. Sie sind weitgehend darstellend und wenig wertend. Deswegen hält Merten eine Rekonstruktion für möglich.

Mertens Studie ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Im ersten Kapitel führt er in die Quellenlage und Methodik ein. Dabei geht er methodisch so vor, dass er die aus den Missionsberichten gewonnenen Erkenntnisse einerseits mit den Berichten des Forschungsreisenden Gustav Adolf Fischer und mit späteren literarischen Quellen, andererseits mit dem Forschungsstand der Religionswissenschaft vergleicht. In Kapitel zwei gibt Merten einen allgemeinen ethnologischen Überblick zu der zahlenmäßig kleinen Ethnie der Pokomo, die im Osten Kenias am Tanafluß heimisch sind. Interessant dabei ist, dass dieses Gebiet für kurze Zeit unter deutscher Kolonialherrschaft stand. Dies wird in Kapitel drei ausführlich beschrieben. In Kapitel vier legt Merten den Fokus auf die Neukirchener Mission mit ihrer besonderen Prägung als Glaubensmission. Diesem Umstand misst Merten große Bedeutung bei. So schlage sich die besondere Ausprägung dieser Frömmigkeit nachweislich in der Darstellungsform der frühen Missionare nieder. Sie vermieden wertende Urteile über die Pokomo gänzlich und gerade dies mache die Quellen so wertvoll. Im fünften eigentlichen Hauptkapitel beschreibt Merten die ursprüngliche Religion der Pokomo anhand folgender Themen: Geheimbünde, Ahnen- und Geistervorstellungen, Gottesvorstellungen, Gebete, Magie und Zauberei, religiös gedeutete Gegenstände, religiös gedeutete Orte, Übergangsriten, Schöpfungsmythen, Feste und Jahreskreis. Dabei entsteht ein veritables Bild der ursprünglich gelebten Religiosität der Pokomo, welches der Religionswissenschaft viele neue und interessante Einsichten vermitteln dürfte. Mit einer Zusammenfassung, einem Literaturverzeichnis und mit zwei Karten zur geographischen Einordnung des Pokomogebietes schießt diese Studie ab.

Die Rekonstruktion der Religion der Pokomo ist Merten in seiner Studie gelungen. Natürlich – so Merten – seien die gewonnenen Erkenntnisse in mehrfacher Hinsicht beschränkt. So könne man davon ausgehen, dass den Missionaren nicht alles mitgeteilt wurde. Auch werde den Missionaren manches in ihrem europäischen Deutungshorizont trotz ihres ehrlichen Interesses verschlossen geblieben sein. Zudem – so Merten – beschränken sich die Ergebnisse räumlich auf die Buu, einer Untergruppe der Pokomo und auf den Ort Ngao, zeitlich auf die Jahre 1887 bis 1914. Darüber hinausgehende Aussagen über die Religion der Pokomo seien sehr wahrscheinlich, jedoch nicht gesichert.

Jedenfalls ist es das Verdienst von Merten mit seiner Studie den neuerlichen Erweis erbracht zu haben, dass manche wertvollen Quellen in den Archiven der Missionsgesellschaften schlummern. Möglicherweise ist dort noch viel mehr Material zu finden, welches wert ist, um von der wissenschaftlichen Forschung ausgewertet zu werden.

In ZMiss 1-2 (2017), 124-126.

Jochen Eber, Johann Ludwig Krapf. Ein schwäbischer Pionier in Ostafrika, Riehen/Basel: Verlag arteMedia, 2006 S. 271.

Auf dem missiologischen Büchermarkt sind sowohl missionsmotivierende als auch wissenschaftlich fundierte Missionsbiographien eher die Ausnahmen, denn in der Vergangenheit neigte man dazu, Missionspioniere hagiographisch zu verklären. Das führte dazu, dass manch ein Leser sein eigenes Leben dem dieser „geistlichen Schwergewichte“ gegenüberstellte und frustriert feststellen musste, wie weit er von diesem Ideal noch entfernt war. Statt für Mission zu motivieren, entmutigten diese Biographien ihre Leser. Wohltuend anders ist die Biographie von Jochen Eber über den Missions- und Endeckungsreisenden J. L. Krapf. Ebers Bemühen um historische Akkuratesse lassen auch die „schwachen Seiten“ Krapfs nicht unerwähnt. So erfährt man beispielsweise, dass der eifrige Afrika-Missionar und später in der Heimat wirkende Missionsmotivator auch Phasen von „große(r) Unlust zur Mission“ (123) und Depression (153) empfinden konnte.

Im Hauptteil seiner Biographie zeichnet Eber Krapfs abenteuerliche Reisen nach Äthiopien und seine späteren Reisen im heutigen Kenia und Tansania nach. Dabei erfährt man viel sowohl über Land und Leute als auch über das zeitgenössische Reisen. Unter anderem kann man beispielsweise lesen, dass Krapf mit einer Luftmatratze reiste, die damals als eine der neuesten technischen Errungenschaften galt und die ihm auch in der afrikanischen Wildnis eine erholsame Nachtruhe ermöglichte. Natürlich ist auch von den berühmten Entdeckungen die Rede. So hat Krapf den Mount Kenya „entdeckt“, während schon zuvor Krapfs Mitstreiter Johann Rebmann als erster Europäer den schneebedeckten Kilimandjaro gesehen hatte. Das galt in der damaligen Zeit als Sensation, denn Schneeberge am Äquator waren für Krapfs Zeitgenossen einfach unvorstellbar.

Auch die Theologie Krapfs wird von Eber dargestellt. Demnach lebte Krapf in gespannter eschatologischer Erwartung, die ihn zur unermüdlichen missionarischen Tätigkeit und den gefährlichen Erkundungsreisen veranlasste. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, wie Krapf als begeisterter Missionar trotzdem Johann Michael Hahns Theologie, mit ihren offensichtlich allversöhnerischen und unmissionarischen Tendenzen anhängen konnte.

Die Lektüre dieser Biographie sei allen empfohlen, die sich für Missionsgeschichte interessieren oder einfach Afrikabegeisterte sind, denn es handelt sich dabei um ein hervorragend illustriertes mit vielen zeitgenössischen Abbildungen versehenes und gut aus Quell- und Sekundarliteratur schöpfendes Buch. Zudem ist es gut lesbar, obwohl Eber einem historisch-wissenschaftlichen Ansatz folgt. Statt Fußnoten sind jedem Kapitel Endnoten angefügt. Das Buch schließt mit einer umfangreichen Bibliographie und hilfreichen Registern ab.

In: em 1/9 (2009), 53-54.

Georg Gremels (Hg.), Die Hermannsburger Mission und das „Dritte Reich“. Zwischen faschistischer Verführung und lutherischer Beharrlichkeit. Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes in Niedersachsen. Bd. XIII, Münster: LIT Verlag, 2005 S. 167.

Die Verwicklungen der deutschen Missionen in die NS-Diktatur sind bis heute noch nicht hinreichend erforscht. In diesem kleinen Aufsatzband wird mit Konzentration auf die Hermannsburger Mission versucht, diese Forschungslücke ein wenig zu schließen. (Am Rande sei hier bemerkt, dass die evangelikalen Missionen in der kirchengeschichtlichen NS-Forschung bisher kaum aufgenommen wurden). In diesem Band geht es nicht nur um die lutherische Hermannsburger Mission. Außerhalb der Hermannsburger Thematik stehen Hugald Grafes und Werner Ustorfs Beiträge. Während Grafe einen kurzen historischen Überblick über die Leibziger Mission in der NS-Zeit gibt, setzt sich Ustorf mit der Frage nach der politischen Gesinnung der Vertreter des Deutschen Evangelischen Missions-Rats (DEMR) in den 1930er Jahren auseinander. Leider enthält Ustorfs Beitrag keine neuen historischen Forschungsergebnisse, die über seine Monographie von 2000 „Sailing on the next tide“ hinausweisen würden. Dennoch ist das Ergebnis seines Aufsatzes aufschlussreich. So seien die Vertreter des DEMR, die zumeist eine pietistische Linie vertraten, der Weimarer Republik gegenüber kritisch eingestellt gewesen und auch sonst hielte man progressive politische Denkweisen wie Demokratie, Sozialismus oder Liberalismus für die Dämonen einer liberalen Zivilisation und eines autonomen neuzeitlichen Bewusstseins. Damit impliziert Ustorf, dass die christlich-konservative Weltsicht der Missionsführer jener Zeit, sie anfällig für das christlich-konservative Blendwerk des Nationalsozialismus machte. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die Vertreter des DEMR von Ustorf nicht ausreichend historisch-biographisch beschrieben werden und die halbsatzartigen Hinweise über ihre NS-Verwicklungen kaum zu einem adäquaten Verständnis der Mentalitätslage jener Zeit beitragen können. Eine gründliche historische Quellenuntersuchung, die alle Vertreter des DEMR einschließt, hätte Ustorfs Beitrag gut getan.  

Weitere Beiträge sind von Gerhard Lindemann zum Schicksal des „halbjüdischen“ Pfarrers Rudolf Gurland, der in der Hermannsburger Missionsanstalt Unterschlupf fand und von Ernst Bauerochse zum Verhalten der Hermannsburger Missionare zu den abwechselnden totalitären Ideologien in Äthiopien.

Herausragend ist der Aufsatz „Die Missionsanstalt Hermannsburg in der Zeit des Nationalsozialismus“ von Gunther Schendel. Darin wird kenntnisreich die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen der Hermannsburger Mission und dem Nationalsozialismus aus umfangreichen Archivmaterialien schöpfend nacherzählt. Zusammenfassend kommt Schendel zu dem Fazit, dass die Hermannsburger Mission sich bis auf einige Ausnahmen resistent gegen nationalsozialistische Vereinnahmungsversuche zeigte. Allerdings gab es auch keinen Widerstand gegen das verbrecherische Nazi-Regime. Interessant und das Fazit von Schendel bestätigend, ist der Beitrag von Martin Tamcke über die Hermannsburger Kontakte zur Assyrermission. Darin zeigt Tamcke, wie die Hermannsburger Missionsleitung aus Furcht vor Repressalien davor zurückschreckte, auf die schrecklichen Gräueltaten und Pogrome gegen die assyrische Minderheit im Irak öffentlich hinzuweisen. Im Hintergrund stand die forcierte Annäherung des nationalsozialistischen Deutschlands an die Araber und speziell an den Irak. Deswegen – so Tamcke – vermied man in Hermannsburg die öffentliche Bekanntgabe der unsäglichen Pogrome an den christlichen Assyrern.

Nach der Lektüre dieses Bandes wird deutlich, dass es den deutschen Missionen in der NS-Zeit vor allem um Existenzsicherung ging. Mutiger Widerspruch oder gar Widerstand aus christlicher Überzeugung waren wegen der lutherischen Zweireichelehre und der ängstlich-konservativen Weltsicht nicht vorhanden.

In: em 2/8 (2008), 70.

Frieder Ludwig, Zwischen Kolonialismuskritik und Kirchenkampf. Interaktionen afrikanischer, indischer und europäischer Christen während der Weltmissionskonferenz Tambaram 1938. Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte Bd. 5 Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000 S. 352.

In der Literatur zu den Weltmissionskonferenzen untersuchte man meist einzelne theologische Themen, indem man beispielsweise nach dem Kirchenverständnis (W. Günther, 1970), dem Bibelverständnis (A. Johnston, 1978), dem Evangelisations- und Missionsverständnis (T. Shivute, 1980) oder nach dem Verständnis von Heilsgeschichte (G. Sautter, 1985) der einzelnen Konferenzen fragte. Das Vorgehen des vorliegenden Buches, das eine 1999 von der Evangelischen-Theologischen Fakultät der LMU München angenommene Habilitationsschrift ist, geht methodisch den umgekehrten Weg. Ludwig fragt nicht, er hört zu, nämlich auf das, was die eigentlichen Konferenzthemen waren. Dabei beschränkt er sich auf die Weltmissionskonferenz von Tambaram 1938, wählt drei geographische Gebiete (nämlich Westafrika, Südindien und Westeuropa) aus und beschreibt die beherrschenden Fragen und Lebenswelten ihm wichtig erscheinender Konferenzteilnehmer dieser Gebiete. Diese Methode überzeugt, denn der Leser bekommt auf diese Weise einen tiefen Einblick in das Konferenzleben.

Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile, die durch die geographischen Gebiete vorgegeben sind. Für die westafrikanischen Konferenzteilnehmer waren die Fragen nach der Beurteilung der Polygamie sowie der unabhängigen Kirchen beherrschend. Den südindischen Teilnehmern ging es vor allem um die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Christentum und Hinduismus, zumal sie die in Tambaram so wichtige Debatte um Hendrick Kraemers Buch The Christian Message in a Non-Christian World betraf.

Das Kapitel über die westeuropäischen Teilnehmer ist zweigeteilt. Im ersten Teil gelingt es Ludwig in geradezu spannender Weise das Zustandekommen der deutschen Delegation in den Irrungen und Wirrungen des NS-Staates darzustellen. Dabei wird deutlich, dass die deutschen Teilnehmer zu Konzessionen der nationalsozialistischen Ideologie gegenüber bereit waren, was sich deutlich in der sog. deutschen Sondererklärung niederschlug. Hier gilt es in der Tambaramforschung, besonders in der evangelikalen Tambaram-Rezeption umzudenken. Denn bisher wurde der Fokus hauptsächlich auf die eschatologische Dimension gerichtet. Die (pseudo)schöpfungs- und ordnungstheologischen Aussagen der Sondererklärung, die in ihrer Betonung von Volk und Rasse nationalsozialistischen Idealen nahe standen, wurden dagegen kaum beachtet. Im zweiten Teil dieses Kapitels steht William Paton, als sympathischer Christ und Organisator der Tambaramkonferenz im Mittelpunkt.

Alles in allem ist dieses Buch eine Lektüre, die von dem Leser einige Lesearbeit abverlangt, denn es werden eine Fülle von biographischen Einzelheiten beschrieben, sowie unzählige kirchengeschichtliche Details und politische Zusammenhänge dargestellt, die weit über die im Untertitel des Buches vorgegebene Zielrichtung hinausgehen. Dies ist einerseits sehr interessant, insbesondere für die Kirchengeschichtsforschung Westafrikas und Südindiens. Andererseits jedoch verhindert diese Breite der Darstellung ein schnelles, zielgerichtetes Lesen und sie kann sich mitunter auf den Leser ermüdend auswirken.

 In: em 1/5 (2005), 37-38.

Winfried Schwatlo, Das Verständnis der Heilsgewissheit in Afrika: Wege zu ihrer Kontextualisierung unter den Christen der Wakaguru. Evangelische Missiologie Monographien Bd. 2 hrsg. von Heinzpeter Hempelmann, Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission, 2001 S. 207.

In dieser „Korntaler-Abschlußarbeit“ nimmt der Autor die „nahezu gänzlich fehlende Einsicht“ der Christen in Afrika auf, „daß Gott Heilsgewissheit schenken kann“. Am Beispiel der Wakaguru, einer Ethnie in Tansania wird in die Problemstellung eingeführt und Lösungswege gesucht, die dann als Kontextualisierung vorgestellt wird. Dem voraus geht eine gründliche exegetische Studie zu Römer 8,38f. Schwatlo hält diesen Text für den Schlüsseltext zum Thema Heilsgewissheit, weil die für Afrika so wichtige Dimension der „Mächte und Gewalten“ berücksichtigt wird. Darauf folgt ein kleiner theologiegeschichtlicher Überblick zum Thema. Anschließend führt Schwatlo in die Kaguru-Kultur ein, wobei er auch Einflüsse der Missionsgeschichte berücksichtigend aufnimmt. Die Ähnlichkeit der Kaguru zu anderen Bantu-Kulturen ist offensichtlich, weswegen diese Studie über die Kaguru-Kultur hinaus Relevanz besitzt. Das darauffolgende Kapitel 4 ist eine allgemeine Erörterung zum Thema Kontextualisierung der biblischen Botschaft in Afrika. Der Fokus fällt dabei auf die Christologie, die präsentisch verstandene Soteriologie und die Bekehrungstheologie afrikanischer Evangelikaler. Der Hauptteil ist das abschließende Kapitel 5. Dort kontextualisiert der Autor die biblische Lehre der Heilsgewissheit für die Christen der Wakaguru. Interessant ist sein breit angelegtes Kontextualisierungsverständnis. Er versucht, auf möglichst vielen Ebenen anzusetzen. Angefangen von traditionellen Kaguru-Texten, bis zu dem auf Kiswaheli vorhandenen theologischen Schulmaterial, über den Einsatz von Dramen und relevanten Kirchenliedern bis hin zu symbolischen Zeremonien versucht er das Verständnis für die Heilsgewissheit zu wecken. Dieser Ansatz überzeugt. Jedoch bleiben Fragen offen. Ist mangelnde Heilsgewissheit das Hauptproblem oder sind andere theologische Inhalte defizitär? Überblickt man das ostafrikanische Christentum, so kann man beispielsweise in Kenia Christen sagen hören: „I’m saved“ mit dem hastigen Zusatz „today“, als ob sie sich ihres Heils morgen nicht mehr sicher sein könnten. In Tansania lassen sich bei Evangelistationsveranstaltungen Scharren von Gemeindeglieder zum wiederholten Male nach vorne rufen. Was sie verbindet ist ihre „Heilsunsicherheit“. Aber warum sind sie sich ihres Heils nicht gewiß? Man wird vermuten dürfen, daß Sünde, trotz Errettung als bleibende, negative, lebenseingreifende Macht erfahren wird, mit der man nicht fertig wird (übrigens fehlt die Sünde in der Aufzählung von Röm 8,38f). Deswegen wäre eine andere reformatorische Lehre von Nöten, nämlich die (selbst in der deutsch-protestantischen Theologie kontrovers diskutierte) Einsicht des simul justus et peccator (gerecht und Sünder zugleich). Wie sich aber eine konsequente Anwendung dieser Einsicht auf afrikanisches Christsein auswirken könnte, wirft viele Fragen auf. Könnte es zu einer ethischen Gleichgültigkeit, gar zum Libertinismus führen? Könnte sich dann trotz Schamkultur Buße bzw. Beichte in Theologie und Praxis ändern? Könnte sich dann auch ein Bischof einer konkreten Tatsünde bezichtigen ohne dabei sein Gesicht zu verlieren, denn er ist Sünder und Gerechter zugleich? Fragen, Fragen zu deren Erörterung Schwatlos Buch schweigt, weil es sich einerseits auf den schmalen Brennpunkt der Heilsgewissheit beschränkt, sich andererseits aber in unrelevante Randthemen wie z.B. die Spannung zwischen Glaube und Werke und der Streit um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ verliert. In diesem Zusammenhang sei außerdem auf die unzähligen Fußnoten hingewiesen. Schwatlo häuft in den Fußnoten seitenweise Literatur an und man fragt sich als Leser irritiert, ob alle angeführte Literatur für sein Thema Relevanz besitzt.

Trotzdem ist dieses Buch eine empfehlenswerte Lektüre, die zum Weiterdenken und Forschen geradezu anregt.

In: em 3/3 (2003), 115.

Arndt Schnepper, Mission und Geld: Glaubensprinzip und Spendengewinnung der deutschen Glaubensmissionen. Wuppertal: R. Brockhaus Verlag. 2007 S. 271.

Mehr und mehr rücken die Glaubensmissionen ins Blickfeld der historischen Forschung und das zu Recht, bedenkt man, dass die moderne evangelikale Bewegung zum Teil in den Glaubensmissionen wurzelt. Das sog. „Glaubensprinzip“ und deren Exponenten allen voran Hudson Taylor erfuhren eine bemerkenswerte Rezeption in Kreisen des missionarischen Evangelikalismus in Deutschland. Aufgrund dieses Sachverhaltes ist es längst überfällig geworden, diese Glaubensmissionen und ihre sog. „Prinzipien“ historisch zu untersuchen und sie einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Das tut Arndt Schnepper, Pressesprecher des Bundes der Freien evangelischen Gemeinden, in seiner an der University of South Africa (UNISA) im Frühjahr 2005 eingereichten Dissertation.

Bei dem „Glaubensprinzip“ geht es um den Verzicht auf öffentliche Spendengewinnung und die explizite Erwartung im Glauben an Gott, die für die Mission benötigten Mittel zu erhalten. Damit einher geht die Ablehnung aus dem säkularen Umfeld, Geld anzunehmen und auf jegliche Kredite zu verzichten.

Beginnend mit Anthony Groves über Georg Müller bis zu Hudson Taylor zeichnet Schnepper die Genese des „Glaubensprinzips“ historisch nach. Dann untersucht er die drei ältesten deutschen Glaubensmissionen, die Neukirchener Mission, die Allianz-China-Mission (heute Allianz Mission) und die Liebenzeller Mission mit dem Schwerpunkt auf deren Spendengewinnung. Dabei kommt er zu einem überraschenden Ergebnis. Das viel beschworene „Glaubensprinzip“ ist entweder nie ernsthaft vollzogen worden oder es fiel der real existierenden sozioökonomischen Wirklichkeit zum Opfer. Diesen Sachverhalt historisch nachzeichnend und an geschichtlichen Beispielen wie der Kaiserspende, Weltwirtschaftkrise oder der Inflationszeit verifizierend, macht dieses Buch zu einer ausgesprochen spannenden Lektüre.

Fazit: Die Favorisierung einer besonders frommen Spendengewinnung wie sie die Glaubensmissionen für sich in Anspruch nahmen, kann nicht aufrechterhalten werden. Zum einen ist das „Glaubensprinzip“ selbst eine moderne Form der Spendenakquise. Zwar bettelt man nicht um Spenden, sondern sagt, dass man das Benötigte von Gott erwarte. Damit wird in moderner Weise kommuniziert, dass man Spenden nötig habe. Zum anderen hat sich gezeigt, dass es zu gewissen Zeiten und Umständen nötig war, aktiver und öffentlicher die benötigten Mittel zu bewerben (bzw. Schulden zu machen oder staatliche Gelder anzunehmen, was vom „Glaubensprinzip“ her untersagt war).

Etwas modellhaft wirkt der Versuch Schneppers die Motivation des „Glaubensprinzips“ bei den drei von ihm untersuchten Missionen zu kategorisieren. Demnach ist der Verzicht auf Spendenwerbung bei der Neukirchener Mission mit der Begründung erfolgt, dass damit die Existenz Gottes bewiesen werden könne, während das „Glaubensprinzip“ bei der Liebenzeller Mission eher ein Gradmesser der Heiligung des Spenders und deswegen auf einen soteriologischen Beweggrund zurückzuführen sei. Demgegenüber sei das Geben bei der Allianz-China-Mission ekklesiologisch begründet, mit dem Hinweis auf die Verantwortung der Gemeinden für die Missionsarbeit.

Alles in allem ist Schneppers Buch eine anregende Lektüre nicht nur für den historisch interessierten Leser, ebenso auch für all jene, die sich für moderne Fundraising-Methoden und ihre Anwendbarkeit im kirchlichen Bereich interessieren.

In: GBFE-Jahrbuch 2010, 204-206.